Die Temperatur fällt heute deutlich hinter Mai-Erwartungen zurück, als wir uns vorm Ludwigsburger City-Hotel zum Aufbruch bereit machen. Mit den Schweizer Friedensfahrern Angie und Alex geht es eine nahezu schnurgerade Straße durch Kornwestheim und an Stammheim vorbei auf die baden-wüttembergische Landeshauptstadt Stuttgart zu. Im Stadtteil Feuerbach kreuzen sich mehrere Autobahn-änhlich ausgebaute Bundesstraßen unteterhalb eines Weinberges, bei dessen Produkten wohl nicht mehr feststehen dürfte, ob der Alkoholanteil oder die Schadstoffbelastung gefährlicher für die Gesundheit ist. Eine Aussichtsplattform verschafft uns einen Überblick über die Stadt und ihre unvollendeten Bauvorhaben. Gut, dass wir dort niemanden besuchen müssen, so dass wir nur noch ins Neckartal hinabgleiten dürfen.
Dazu führt uns der Radroutenplaner durch den Rosensteinpark am Naturkundemuseum vorbei. Penibel ist jeder Parkweg exakt dokumentiert, doch kurze Zeit später stehen wir vor der für Radfahrer und Fußgänger gesperrten Bundesstraße 10, an der wir laut Plan westlich entlang fahren sollen, obwohl sich der Neckartalradweg gegenüber am östlichen Flussufer befindet. Hier gibt es wohl noch Korrekturbedarf.
Durch das Stuttgarter Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen führt der Weg, teilweise durch Parkhäuser am Flussufer entlang, und weiter flussaufwärts wird immer wieder sichtbar, für welchen Kraftfahrzeughersteller die ganze Region »schafft«. In Esslingen gibt es einen Käsespätzlehalt in der Altstadt, damit auch diese hiesige Spezialität gebührend gewürdigt werden kann. Im Lokal versammeln sich mehr und mehr Fußballanhänger, denn die Bundesliga-Begegnung Mercedes-Volkswagen beginnt bald. Rechtzeitig zum Spielbeginn fahren wir weiter, so dass wir keine traurigen VfB-Fans trösten müssen, da ihr Verein mit 1:2 unterliegen wird. Alex hingegen dürfte sich freuen, spielen bei Wolfsburg doch zwei Schweizer Nationalspieler mit.
Die Bahnstrecke versperrt uns lange unseren Weg an den Neckar zurück, doch endlich taucht eine Brücke auf und bald darauf sind wir in Plochingen, wo von weitem ein Hundertwasser-Gebäude auf sich aufmerksam macht. Ein kurzer Fotostopp genügt, und wir sind sicher nicht die ersten, die hier Halt machen, denn die Bewohner erbitten auf Schildern eine nächtliche Auszeit gegen allzu aufdringliche Besucher.
In Nürtingen erwarten uns Michael und Dajan von der Gemeinschaft »Hohenneuffen« und führen uns in den ehemaligen Schlachthof, der heute für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird und auch eine Gastronomie beherbergt, in der man sein Fleisch unter den für dessen Herstellung notwendigen Werkzeugen zu sich nehmen kann, die unter der Decke hängen. Mein Wunsch nach einer Traubensaftschorle wird an diesem Tag zum zweiten Mal abschlägig beschieden – offenbar gibt es dieses Getränk nur beim Discounter aus dem Ruhrgebiet, nicht aber in einer Gegend, wo Weintrauben angebaut werden.
Nach dem Essen bereiten wir uns mit einem kleinen Stadtspaziergang auf den Guttemplertag 2015 vor – wer Hölderlin-Gedichte lesen mag, wird hier auf seine Kosten kommen, sei schon verraten. Anschließend spielen wir im Hotelzimmer noch eine Partie Domino auf dem Boden, denn an Tische gelangen wir nicht, da im Hotel Pflum heute Ruhetag herrscht. Morgen geht die Fahrt weiter nach Heidenheim.