Zwei Tage vor dem Start der Guttempler-Friedensfahrt krame ich in den Erinnerungen vergangener Fahrten – zum einen um nichts Lebenswichtiges zu vergessen einzupacken – zum anderen auf die Vorfreude, wem ich auf dieser Fahrt wohl (wieder) begegnen werde. Meine erste längere Radtour plante ich mit der niedersächsischen Guttempler-Jugend, eine Rundfahrt durch Niedersachsen und Ostwestfalen, Start und Ziel in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen, bei der mich auch meine Geschwister Kirsten und Matthias begleiteten.
1978: Bremen – Osnabrück – Bielefeld – Steinhuder Meer – Bremen
Das internationale Sommerlager zum IOGT-Weltkongress in Amsterdam war gerade vorbei und nun galt es noch die zwei letzten Sommerferienwochen zu nutzen. Dazu boten sich Zelte an, die – wie auch so manches Fahrrad – bei Taschengeldbudget eher im unteren Qualitätsbereich zu finden und darum einem nächtlichen Sturzregen in Bielefeld auch nicht mehr gewachsen waren. Zum Glück zelteten wir dort im Hüllinghorstschen Garten und konnten darum in die Zimmer ihrer erschrockenen Kinder flüchten.
Große Unterstützung erfuhr die Tour durch die erwachsenen Guttempler, unsere »Oldies«, die bei der Besorgung von Quartieren halfen und zum leiblichen Wohl beitrugen.
1982: Trelleborg – Jönköping – Oslo
Zum IOGT-Weltkongress 1982 im norwegischen Bergen trennte ich mich mit einer Freundin in Jönköping, Schweden, von unserer Guttempler-Jugendgruppe »Let's fetz«, die bis dorthin eine gemeinsame Radtour durch Südschweden unternommen hatte, und wir zwei fuhren dann noch mit dem Rad bis Oslo, immer entlang der alten E6, die damals nicht mehr als eine zweispurige Straße mit meterbreiter Ausweichspur war. In Sarpsborg nutzten wir die Radfahrern verbotene Brücke über den Fjord – die Alternative ihn zu umfahren und dabei auf Meeresniveau hinab und auf der anderen Seite wieder hinauf war einfach nicht einladend genug.
In Oslo wurden wir von der damaligen norwegischen Guttempler-Jugend NGU empfangen, die unsere Räder im Bandbus nach Bergen verfrachtete, während wir mit der Bergenbahn weiterfuhren und eine Woche vor Beginn des Sommerlagers bei dessen Vorbereitung und Aufbau mithalfen.
1986: Hamburg – Zürich
1986 stand die nächste größere Fahrt an: zum IOGT-Weltkongress nach Zürich – Start in Hamburg. Jeder Teilnehmer plante eine Tagesetappe und große Unterstützung erfuhren wir wieder durch die Guttempler in Niedersachsen, Hessen und Baden-Württemberg. Während wir bei vielen in Norddeutschland privat im eigenen Garten oder auf dem Mahlertshof neben dem Pool zelteten, in Göttingen und Kassel früheren DGJ-Mitgliedern mit 20 Mann sogar auf die Bude rückten (»Couchsurfing« bevor es dieses Wort dafür gab), sponserten uns die Baden-Württemberger die komplette Strecke durchs Ländle in jedem Etappenort den Aufenthalt in Jugendherbergen.
In den 80er Jahren badeten wir Jugendlichen in jedem sich bietenden Gewässer nackt, was auf dem Mahlertshof mit besagtem Pool für einiges Aufsehen – und viele Neugierige auf den Balkonen mit Blick auf den Pool – sorgte. Damaliger Hausherr und Klinik-Leiter Günter Rudeck beruhigte die darüber aufgebrachten Gemüter sinngemäß damit, dass wenn sie, die Patienten, in ihrer Jugend das Glück gehabt hätten, mit so einer Jugendgruppe auf Fahrt gehen zu dürfen, dann wären sie womöglich jetzt nicht hier…
1990: Rendsburg – Kopenhagen – Århus – Rendsburg
1990 ging es mit der schleswig-holsteinischen Guttempler-Jugend, schon dabei Friedensfahrerin Inga Hansen, zum IOGT-Weltkongress mit internationalem Jugendlager nach Kopenhagen. Eine eher kürzere Strecke, das meiste davon über dänische Inseln. Auf der Rückfahrt über das kontinentale Dänemark wurden wir sogar von Schweizer IOGT-Mitgliedern in deren Ferienwohnung beherbergt.
2006: Hamburg – Basel
Und zu guter Letzt fällt mir natürlich die zeitnähere Radtour von Juvente zum internationalen Sommerlager und IOGT-Weltkongress in Münchenstein bei Basel ein. Das Fahrrad, das auf den vorigen Bildern zu sehen ist, wurde 2006 vom Geesthachter Fachhändler als Sperrmüll klassifiziert – ein neues Rad musste her, da die 27er-Reifengröße der 70er Jahre nicht mehr existierte.
In den 20 Jahren hatte auch die Fahrrad-Technik Fortschritte gemacht. Über 100 Jahre wurden am Fahrrad ja keine nennenswerten technologischen Neuerungen entwickelt. Der Sprung von 1982 nach 2006 war für mich ein großer: Nabendynamo galt als Standard, Schaltung mit bezifferten Voreinstellungen, Standlicht, Federung in der Gabel und Packtaschensysteme, die mit einem Klick aus der Box eine Umhängetasche machten – da macht das Radfahren erheblich mehr Spaß.
Fuhren wir 1986 zum Teil noch auf radweglosen Bundesstraßen, gab es 2006 ein inzwischen komfortabel ausgebautes Radwegenetz mit entsprechender Beschilderung, die die Sucherei auf Generalkarten überflüssig macht. Wurden Radfahrer in den 80ern noch als grüne Spinner belächelt und galten Autofahrern vor allem als Verkehrshindernis, war es 2006 möglich die Schweiz zu erreichen, ohne auf weiten Strecken überhaupt mit dem Autoverkehr in Berührung zu kommen. Wir folgten Weser, Fulda, Lahn, Main und Rhein und das Fazit zu Deutschland nach der Gesamtstrecke war das Gleiche wie Obelix über Helvetien feststellte: das Land ist flach.
Auch 2006 bildeten zahlreiche Guttempler die Streckenposten: diesmal aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz/Saarland wie auch wieder die Baden-Württemberger. Für die Sponsoren fuhren wir zum Dank Reklame: jeder Teilnehmer hatte einen Aufkleber an seinem Fahrrad dabei. So wurden auch die Unterstützer gewürdigt, die nicht an der Strecke lagen.
Wenige Streckenabschnitte, so wie hier in der Nähe von Karlsruhe, boten überraschende Hindernisse – aber für eine gute Abkürzung trägt man sein Rad auch schon einmal gern über den Steg.